Homo Sapiens 2.0

  • Auch wenn das jetzt nichts mit autistischen Menschen zu tun hat, finde ich es in anbetracht des Titels passend...


    Der Author "Yuval Noah Harari" hat sich (für mich sehr ernüchternd) einige Gedanken über die Menschheit gemacht.

    - Was verstehen wir unter einer Spezies

    - Wie ist die Spezies "Homo-sapiens" entstanden

    - Was hat sich der Homo-sapiens alles ausgedacht und zur Realität erklärt

    - Welche Möglichkeiten hat sich die Menschheit eröffnet

    - Wie gehen wir damit um (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft)


    1. Buch: Eine kurze Geschichte der Menschheit

    2. Buch: Homo-Daeus

    3. Buch: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

    Ich bin selten nachtragend, ich kann mir nur vieles merken ;)

  • Das waren meine zugegebenmaßen etwas abgeklärt-deprimierten 2 cents.

    Ich finde gar nicht, dass Du deprimiert klingst. Eher wie jemand, der die Realität akzeptiert und das Beste daraus zu machen versucht. Das definiere ich sogar als gesunden Optimismus.

    Ein Großteil Deiner Aussagen entspricht genau meiner Meinung. In einem Punkt sehe ich die Dinge aber etwas optimistischer. Und zwar in der Schwierigkeit, die mit steigenden Kommunikations-Anforderungen in "Nerd"-Berufen einhergeht. Ich arbeite in einem Job, in dem der Anteil an Menschen mit durchaus großen - sagen wir - "Sozialkontakt-Schwierigkeiten" sehr hoch ist. Inwieweit das "nur" Nerds und Geeks sind und inwieweit einige davon die Schwelle zum Autismus-Spektrum überschritten haben, sei mal dahingestellt. Einige sind definitiv nicht in der Lage, ihr Privatleben ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Unabhängig von der Autismus-Diagnose fällt es diesem Personenkreis schwer, zu kommunizieren. Aber trotzdem funktioniert der Berufsalltag sehr gut. Das hat (mindestens) 3 Gründe:

    1. Es gibt Leute wie mich, die das Team leiten und trotz (oder m.E. sogar wegen) meines Autismus sich zu einer Art "Menschenflüsterer" entwickelt haben. Zwar nur auf professionellem Terrain, wenn es um meinen Job oder ähnliches geht, aber das reicht ja in diesem Fall. (Ich ahne schon den Widerspruchssturm, den ich für diese Aussage ernten werde...) Ich sehe, wo Kommunikation schwierig werden kann und weshalb und lenke gezielt dagegen. So sitzen dann möglichst alle Beteiligten immer auf dem richtigen Gleis und die Zahnräder des Großen Ganzen greifen problemlos ineinander (auch kommunikativ).

    2. Jemand, dem Kommunikation ein Graus ist, der es aber berufsbedingt täglich machen muss, entwickelt sich im richtigen Setting beachtlich weiter. Man darf ihn halt nicht überfordern und es darf ihm den Berufsalltag nicht zu sehr vergällen. Meine Mitarbeiter studieren u.a. auch meine Umgangstechniken und imitieren sie vorsichtig. Mit der Zeit trauen sie sich mehr und mehr und werden nicht selten wegen ihrer klaren und faktenorientierten Art zu geschätzten Kontaktpersonen.

    3. kann man auch der "Außenwelt" da durchaus eine gewisse Weiterentwicklung zutrauen. Ein Kunde oder Kollege, der auf die Arbeit einer "nerdigen" Abteilung angewiesen ist, lernt schnell (und oft sogar gerne und selbstverständlich), wie die Kommunikation da besser läuft. (Und ich arbeite definitiv nicht in einer geschützten Branche. Im Gegenteil. Haifischbecken trifft es eher.) Professionell freundlicher Ton, klare Fakten, kein Schnickschnack abseits des Weges, keine falsche "Bussi-Bussi"-Freundlichkeit, gegenseitige Wertschätzung. Ich habe das Gefühl, dass dieser Kommunikations-Stil für viele Nicht-Nerds/Autisten eine wahre Wohltat in ihrem Berufsalltag ist.


    Also ich sehe da gar nicht schwarz für die Zukunft. Je leichter der Autismus ausgeprägt ist, desto früher wird man m.M.n. in Zukunft einen guten und wertgeschätzten Platz im Berufsalltag finden können. Und in dem Maße, in dem sich "leichte Fälle" dort etablieren, werden sukzessive auch immer "schwerere Fälle" und die (Erwerbs-)Gesellschaft zueinander finden. Und sobald man im Berufsleben steht, hat man automatisch Sozialkontakte, wenn auch u.U. nur auf den Job beschränkt. Dadurch wird das Miteinander zwischen verschieden veranlagten Menschen selbstverständlicher, was wieder viele positive Faktoren auf verschiedensten Ebenen mit sich bringt.


    Und Evolution ist Trial and Error und Statistik. Da gibt es Extreme, die sich so auf Dauer nicht durchsetzen. Aber ich denke, dass es durchaus denkbar ist, dass die Gehirne der Menschheit im Schnitt in Zukunft autistischer werden. Mit allen Konsequenzen, die es hat, wenn sich bei einer statistischen Verteilung der Erwartungswert verschiebt.

    Ich verstehe auch, dass sich Menschen, die sich diesem Extrem zugehörig fühlen (ich sage bewusst "fühlen", da andere sie eventuell gar nicht in diesem Extrem sehen würde, aber ihre eigene Wahrnehmung da ernstzunehmen ist), vom Schicksal benachteiligt fühlen. (Ich habe bewusst eine sanfte Formulierung gewählt.)

    Es hilft auch niemandem, zu sagen, "Ich bin halt der Leidtragende beim Versuch der Evolution, das menschliche Gehirn den sich verändernden Anforderungen anzupassen. Bei mir hat sie es halt leider noch übertrieben."

    Aber ich denke, der ein oder andere findet den Gedanken vielleicht tröstlich, dass er evtl. nicht irgendeine Laune der Natur ist, die sinnlos in eine Sackgasse steuert, sondern "einfach nur" ein Extrem der Evolution auf dem Weg zu einem verbesserten Gehirn.


    (Auf den gesamten Verlauf des Themas bezogen: Nein, es liegt mir fern, Menschen, denen ich versuche, mit Gedankenmodellen einen gewissen Trost zu ermöglichen, zu verhöhnen. Und als Hinweis: Ich empfinde es als verletzend, jemandem, den man nicht kennt, initial erstmal derartig schlechte Charakterzüge zu unterstellen.)

  • Wie findet Ihr die Idee? Wir sind nicht "gehandicapped", wir sind einfach die Vorreiter eines neuen Menschentyps, der irgendwann Standard sein wird. Wir sind einfach nur die ersten und daher (leider) unserer Zeit noch voraus.


    Da gibts ja auch die Ansicht mit der Neurodiversität https://de.wikipedia.org/wiki/Neurodiversit%C3%A4t


    Wo u.a. Autismus nicht für eine Krankheit/Behinderung gesehen wird, sondern als natürliche menschliche Variante.


    Geht das vielleicht so in etwa in die Richtung, wie du es meinst?


    LG Pixel.

  • Vitaminzwerg : Du scheinst mir bei der ganzen Sache einen Denkfehler zu haben. Du scheinst bei deiner Idee nämlich nur von den leicht betroffenen Autisten auszugehen. Aber du kannst dabei nicht einfach die mittelmäßig oder schwer betroffenen Autisten ignorieren. Die mittelmäßig und schwer betroffenen Autisten gehören genauso zum Autismus wie die leicht betroffenen Autisten.


    Selbst wenn sich die Welt mehr auf die Probleme von Autisten ausrichten würde, werden Menschen wie z.B. mein Cousin (Kanner-Autist) nicht plötzlich arbeiten können oder gar leistungsfähiger als NTs. Ihr Leben wird vielleicht angenehmer, aber viel mehr wird sich für sie nicht ändern.


    Für die leicht betroffenen Autisten mag es dann wohl leichter werden, Arbeit zu finden und sie können dann womöglich in Teilbereichen auch leistungsfähiger als so mancher NT sein, aber das macht sie meiner Meinung nach noch lange nicht zu einer Weiterentwicklung. Sie sind dadurch nicht anders oder besser als die NTs. Und auch die Welt wäre dann meiner Meinung nach keine bessere. Sie wäre höchstens anders.

  • Geht das vielleicht so in etwa in die Richtung, wie du es meinst?

    Das passt ziemlich gut zu meiner Perspektive, ja. :)

    Wobei ich die Grenzen ziemlich fließend sehe.

    Einige meiner Nerd-Kollegen, die ziemlich sicher keine Autisten sind, sind mir z.B. viel ähnlicher als sie so manchem Poser-Pavian-Kollegen sind. Aber beide gelten als NT, im Gegensatz zu mir.

    Andererseits kenne ich Menschen, bei denen der Autismus so heftig ist, dass sie geistig schwerst behindert sind. Da hat die Neuridiversität dann schon ganz klar die Grenze zur Behinderung überschritten.

    Auch bei meiner leichten Form fühle ich mich manchmal durch meinen Autismus behindert und von jetzt auf gleich wie ein hilfloses Kind. Wobei ich tatsächlich nicht sagen würde, dass ich aufgrund meines Autismus behindert bin, sondern durch ihn in gewisser Weise behindert werde. Wo da die Grenze ist... da gibt es sicher viele Ansichten und Ansätze. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht, wie ich da die Grenze definieren würde. :S

  • Die einzige "Fähigkeit" die einen evolutiven Vorteil darstellt, ist die, mehr überlenden Nachwuchs in die Welt zu setzen als andere Individuen. Genau das ist aber bei Autisten eben nicht der Fall, zum einen weil die Partnerwahl schlechter funktioniert und schon deshalb manche kinderlos bleiben, zum anderen weil manche die notwendige längerfristige Nähe nicht ertragen, und schließlich weil der Anteil derer, die in der Lage sind nicht nur sich selbst, sondern auch Kinder durchzubringen geringer ist als in der Gesamtpopulation. Das gilt - wenn ich mir die Äußerungen in den diversen Foren anschaue - aufsummiert für relativ viele Autisten, und da sind die schwer Betroffenen ja noch erfasst. Ich halte es daher für abwegig, Autismus als evolutiv vorteilhaft zu erklären.

    Selbst ich, der ich einen Weg gefunden habe, auch die mit AS verbundenen potenziellen Stärken zu nutzen, habe beruflich letztlich weniger Erfolg als Leute mit insgesamt geringeren fachlichen, aber viel besseren kommunikativen Fähigkeiten. Und was die Vermehrung angeht: ich hätte zwar gerne mehr als nur das eine Kind gehabt, bin aber mittlerweile ganz froh, dass es nicht mehr geworden sind - die hätten mich wahrscheinlich überfordert.


    Dieses Thema "Autismus als nächste Stufe der Evolution" taucht ja immer wieder auf, ist aber schon wegen der geringeren Reproduktionsrate von Autisten m.E. leicht als Wunschdenken bzw. Schönreden der eigenen Einschränkungen erkennbar.

  • Du scheinst mir bei der ganzen Sache einen Denkfehler zu haben. Du scheinst bei deiner Idee nämlich nur von den leicht betroffenen Autisten auszugehen.

    Die ganz schwer betroffenen, bei denen die Grenze zur (schweren) geistigen Behinderung überschritten ist, nehme ich in meinen Theorien oben explizit aus. Bzw. sehe ich sie als Extrem im Trial and Error der Evolution. Ich weiß nicht, ob beim Verschieben der statistischen Autismus-Verteilung diese Fälle dann auch mehr werden. Wäre statistisch einerseits logisch, andererseits "lernt" die Evolution ja auch dazu und optimiert. Ist ein interessanter Gedanke, auf dem ich nochmal herumdenken werde, da ich ihn noch in meine Theorie einfügen muss. (Danke dafür. Das war echt wertvoll. :*)

    In absehbarer Zukunft werden erstmal eher leichte Fälle in den Arbeitsmarkt integriert werden. Aber man wird dadurch evtl. immer mehr Möglichkeiten für immer schwerere Fälle entdecken. Aber wie gesagt, irgendwo sehe ich eine Grenze in Hinblick auf die geistige Beeinträchtigung, ab der es nur noch darum geht, den Betroffenen gerecht zu werden. (Auch hier muss die Welt noch besser werden. Da ist noch viel mehr Luft nach oben als nach unten.)

    Und ich behaupte nicht, dass Autisten generell leistungsfähiger sind als NTs. Auch nicht, dass sie die besseren Menschen sind. Ich bin aber überzeugt, dass jedes autistische Gehirn (eines nicht geistig beeinträchtigten Menschen) nicht nur Flaws, sondern auch irgendwo Features hat. Gegeneinander abgewogen überwiegen vermutlich so gut wie immer die Flaws. Aber das heißt ja nicht, dass zukünftige Generationen es nicht zunehmend schaffen, trotzdem die Features zu erkennen und zu nutzen. (Und ich spreche dabei nicht von Spezialinteressen oder gar Inselbegabungen. Die sind nicht jedem gegeben.)

    Der Umgang mit Autisten muss (und wird vermutlich) einfach selbstverständlicher werden. Wir sind viele und werden eventuell in Zukunft tendenziell mehr werden. (Vielleicht nicht für immer, je nachdem wie sich die Umweltanforderingen ändern. Aber "vorerst" erwarte ich das schon.) Eine Gesellschaft kann und sollte dieses Potential nicht einfach brachliegen lassen. Und je selbstverständlicher Autisten in der Lebensrealität der Gesellschaft präsent sind, desto besser finden sich Ideen und Möglichkeiten.

    Selbst jemand, der im Alltag ziemlich überfordert ist, kann im Job durchaus ein wertvoller Mitarbeiter sein. Ich denke an konkrete Beispiele aus meinem beruflichen Alltag. Da ist ein perfekt eingerichteter Arbeitsplatz, ein Hausmeister, eine Personalabteilung, Kollegen, die zu festen Zeiten in die Kaffeeküche und die Kantine gehen, wo man mitgehen kann, etc. Wenn das Licht, die Geräusche oder ganz andere Dinge stören oder überfordern, hat man jemandem, den man um Rat/Hilfe fragen kann. Auch wenn es etwas ist, was im Privatleben daherkam, wie Behördenpost oder Probleme mit einem Nachbarn. Irgendein vernünftiger Kollege findet sich immer, der da ganz vorurteilsfrei und diskret hilft.

    Das ersetzt in schwereren Fällen zwar nicht komplett einen Betreuer, aber in leichteren Fällen evtl. schon. Und auch in schwereren Fällen ist zumindest für einige Dinge keine Betreuung mehr notwendig. (Wer 5× die Woche in der Kantine isst, muss 5× nicht kochen.)

    Ich sehe das heutige autistische Gehirn auch nicht unbedingt als die finale Version der Weiterentwicklung. Aber als Schritt in diese Richtung. (Also nicht als sinnlose Sackgasse, sondern als Trial and Error "Spielwiese" im Zuge der Anpassung an sich ändernde Anforderungen.)

  • Dieses Thema "Autismus als nächste Stufe der Evolution" taucht ja immer wieder auf, ist aber schon wegen der geringeren Reproduktionsrate von Autisten m.E. leicht als Wunschdenken bzw. Schönreden der eigenen Einschränkungen erkennbar.


    Die gegenwärtige Überbevölkerung der Welt wirkt auf mich weniger sinnvoll und gut für die Welt.


    LG Pixel.

  • Da gibts ja auch die Ansicht mit der Neurodiversität https://de.wikipedia.org/wiki/Neurodiversit%C3%A4t


    Wo u.a. Autismus nicht für eine Krankheit/Behinderung gesehen wird, sondern als natürliche menschliche Variante.

    Von dieser Idee halte ich persönlich gar nichts.

    Mein Psychiater sagte mal "jeder hat irgendwo autistische Eigenschaften". Es kommt also immer darauf an wo der Krankheitswert anfängt. Leute, die keine Beeinträchtigungen haben, und alles "voll easy" sehen, sind einfach keine Autisten.


    Du scheinst mir bei der ganzen Sache einen Denkfehler zu haben. Du scheinst bei deiner Idee nämlich nur von den leicht betroffenen Autisten auszugehen. Aber du kannst dabei nicht einfach die mittelmäßig oder schwer betroffenen Autisten ignorieren. Die mittelmäßig und schwer betroffenen Autisten gehören genauso zum Autismus wie die leicht betroffenen Autisten.

    Richtig.


    Einige meiner Nerd-Kollegen, die ziemlich sicher keine Autisten sind, sind mir z.B. viel ähnlicher als sie so manchem Poser-Pavian-Kollegen sind. Aber beide gelten als NT, im Gegensatz zu mir.

    Du hast aber gar keine Positivdiagnose. Theoretisch könntest Du auch keine bekommen. Du kannst also gar nicht wissen ob Du Autist bist oder nicht. Nicht jeder Nerd ist auch ein Autist.


    Andererseits kenne ich Menschen, bei denen der Autismus so heftig ist, dass sie geistig schwerst behindert sind. Da hat die Neuridiversität dann schon ganz klar die Grenze zur Behinderung überschritten.

    Die ganz schwer betroffenen, bei denen die Grenze zur (schweren) geistigen Behinderung überschritten ist, nehme ich in meinen Theorien oben explizit aus. Bzw. sehe ich sie als Extrem im Trial and Error der Evolution.

    Und hier ist der nächste Fehler. Schwer betroffene Autisten sind nicht zwingend geistig behindert! Sie können es sein, und es sind auch viele, aber es muss nicht so sein.

    Nicht ohne Grund wird im ICD-11 genau dieser Punkt gesondert diagnostiziert werden!


    Dieses Thema "Autismus als nächste Stufe der Evolution" taucht ja immer wieder auf, ist aber schon wegen der geringeren Reproduktionsrate von Autisten m.E. leicht als Wunschdenken bzw. Schönreden der eigenen Einschränkungen erkennbar.

    Richtig.


    Der Umgang mit Autisten muss (und wird vermutlich) einfach selbstverständlicher werden. Wir sind viele und werden eventuell in Zukunft tendenziell mehr werden.

    Wird er mit Sicherheit. Einmal weil immer leichtere Fälle überhaupt eine Positivdiagnose bekommen, die früher keine bekommen hätten, und zum zweiten weil die Diagnose mittlerweile inflationär verteilt wird.


    Der Umgang würde zwangsweise selbstverständlicher. Die schwerer betroffenen Autisten hätten dadurch aber die "Arschkarte". Sie würde keiner mehr ernst nehmen. Also die Autisten zwischen "hochfunktional" und "niedrigfunktional". Die "ultrahochfunktionalen" würden dann die Sicht der Nichtautisten bestimmen. Nämlich genau dann zu "ist doch alles nicht schlimm", "stell Dich nicht so an", "die anderen können das doch auch", "gibt so viele die das problemlos können", "Du bist nur faul" usw usf.

    Die einzigen die dann noch wirklich ernstgenommen würden sind dann die geistig behinderten niedrigfunktionalen Autisten.

    Die Sicht auf Autismus würde also um 50 Jahre zurückgedreht.


    Für mich ist das keine gute Zukunftsaussicht...

    Hohe Zahlen bei der Editierungsanzeige zeigen nicht, dass ich permanent meine Meinung ändern würde. Ich habe nur Probleme Rechtschreib- und Grammatikfehler zu tolerieren und korrigiere diese daher, wenn ich sie sehe. Dennoch kann auch ich Tippfehler übersehen. In diesem Fall bitte ich um Nachsicht.

  • Dieses Thema "Autismus als nächste Stufe der Evolution" taucht ja immer wieder auf, ist aber schon wegen der geringeren Reproduktionsrate von Autisten m.E. leicht als Wunschdenken bzw. Schönreden der eigenen Einschränkungen erkennbar.

    Da Du mich nicht kennst, kannst Du das (noch) nicht wissen, aber ich bin definitiv niemand, der sich etwas schönredet oder etwas vormacht. Eher im Gegenteil.

    Deine Einwände sind m.E. in gewisser Weise für sich genommen plausibel. Aber nach meiner Einschätzung der Gesamtschau dessen, wie Evolution und Statistik funktionieren, ist es plausibel, dass zukünftige Generationen zunehmend autistischer sein werden.

  • Leute, die keine Beeinträchtigungen haben, und alles "voll easy" sehen, sind einfach keine Autisten.


    Das habe ich noch nie verstanden, wie das funktionieren soll. Auch, das man ohne Diagnose kein Autist wäre.


    Vielleicht kein diagnostizierter, aber vor meiner AS Diagnose war ich doch genauso schon Autist?


    Wenn ich so viel an mir gearbeitet habe, das ich gut klarkommen würde, dann bin ich kein Autist mehr?


    LG Pixel.

  • Vitaminzwerg : Man merkt, dass du die Probleme der mittelmäßig und schwer betroffenen Autisten nicht wirklich zu kennen scheinst.


    Sehr viele Autisten scheitern doch schon am Vorstellungsgespräch oder am Arbeitsweg. Für mich z.B. ist die Benutzung vom ÖPNV unmöglich. Gleichzeitig kann ich aber auch nicht selber Autofahren, weil mich das völlig überfordert. Und selbst wenn ich dann irgendwie einen Arbeitsplatz bekommen würde, wäre ich mit dem ganzen sozialen Miteinander und dem Drumherum wieder überfordert.


    Ich könnte z.B. nicht mit irgendwelchen Vorgesetzten/Arbeitskollegen über meine Probleme reden oder die um Rat fragen, weil es mich überfordert und sie auch gar nicht meine vertrauten Ansprechpartner sind. Für mich wären gemeinsame Pausen keine Erholung, sondern einfach nur sehr anstrengend und ermüdend. Eher könnte ich auf Pausen ganz verzichten, als sie zusammen mit anderen verbringen zu müssen. Ich habe auch keine besonderen "Features", die ich arbeitsmäßig nutzen könnte. Und um mal zu deinem Beispiel mit der Kantine zu kommen: Ich würde gar nicht in einer Kantine essen, da ich sehr empfindlich bin, was das Thema Essen angeht. Ich benutze z.B. kaum Gewürze und esse viele Dinge gar nicht. Das heißt, ich müsste nach der Arbeit nicht nur noch irgendwie meinen Haushalt machen, sondern auch noch kochen. Dafür würde mir aber nach so einem anstrengenden Arbeitstag schlicht die Energie fehlen. Und so geht es sehr vielen Autisten und zwar ganz ohne geistige Behinderung.

  • aber ich bin definitiv niemand, der sich etwas schönredet oder etwas vormacht.


    Seit ich die AS Diagnose habe, habe ich einen sehr defizitären Umgang mit mir erlebt.


    Das hatte bei mir anfangs erst Mal u.a. zu einer Identitätskriese geführt.


    Ich wurde ab der Diagnose nur noch durch meine Defizite definiert und nicht mehr als Individuum behandelt.


    Meine Stärken und was ich zum Teil sogar besser kann spielten keine Rolle. Nur was ich alles nicht kann.


    Nur auf seine Defizite reduziert zu werden, kann einen mit der Zeit auch depressiv u.a. machen.


    Ich bin auch dafür möglichst realistisch zu bleiben, d.h. für mich aber auch, nicht nur die Defizite zu sehen.


    LG Pixel.

  • Das habe ich noch nie verstanden, wie das funktionieren soll. Auch, das man ohne Diagnose kein Autist wäre.


    Vielleicht kein diagnostizierter, aber vor meiner AS Diagnose war ich doch genauso schon Autist?

    Sicher war derjenige auch vor der Positivdiagnose bereits Autist. Aber: Er wusste es nicht. Er konnte allenfalls einen Verdacht haben.


    Wenn ich so viel an mir gearbeitet habe, das ich gut klarkommen würde, dann bin ich kein Autist mehr?

    Wenn man keine Einschränkungen hat bekommt man auch keine positive Diagnose.

    Ich persönlich bezweifle aber, dass man den Autismus wegarbeiten kann. Man kommt besser klar weil man zb weiß was man vermeiden muss. Man kommt auch nicht überall gut klar. Leicht betroffene Autisten schaffen es eigentlich nie in allen Bereichen nicht mehr auffällig zu sein. Irgendwo hakt es immer. Also entweder im Beruf oder in Beziehungen, Familie etc


    Sehr viele Autisten scheitern doch schon am Vorstellungsgespräch oder am Arbeitsweg. Für mich z.B. ist die Benutzung vom ÖPNV unmöglich. Gleichzeitig kann ich aber auch nicht selber Autofahren, weil mich das völlig überfordert. Und selbst wenn ich dann irgendwie einen Arbeitsplatz bekommen würde, wäre ich mit dem ganzen sozialen Miteinander und dem Drumherum wieder überfordert.


    Ich könnte z.B. nicht mit irgendwelchen Vorgesetzten/Arbeitskollegen über meine Probleme reden oder die um Rat fragen, weil es mich überfordert und sie auch gar nicht meine vertrauten Ansprechpartner sind. Für mich wären gemeinsame Pausen keine Erholung, sondern einfach nur sehr anstrengend und ermüdend. Eher könnte ich auf Pausen ganz verzichten, als sie zusammen mit anderen verbringen zu müssen. Ich habe auch keine besonderen "Features", die ich arbeitsmäßig nutzen könnte. Und um mal zu deinem Beispiel mit der Kantine zu kommen: Ich würde gar nicht in einer Kantine essen, da ich sehr empfindlich bin, was das Thema Essen angeht. Ich benutze z.B. kaum Gewürze und esse viele Dinge gar nicht. Das heißt, ich müsste nach der Arbeit nicht nur noch irgendwie meinen Haushalt machen, sondern auch noch kochen. Dafür würde mir aber nach so einem anstrengenden Arbeitstag schlicht die Energie fehlen. Und so geht es sehr vielen Autisten und zwar ganz ohne geistige Behinderung.

    Genauso ging es mir früher auch. Nach der Arbeit ging einfach gar nichts mehr. Meine Wohnung sah aus wie ne Müllkippe.

    Auch jetzt kriege ich das nicht wirklich hin, weil schon der normale Alltag ohne Arbeit Stress ist und ich auch sehr in meiner kleinen Welt gefangen bin, aber ich habe ja Hilfe.

    Und nein, ich habe keine geistige Behinderung.

    Hohe Zahlen bei der Editierungsanzeige zeigen nicht, dass ich permanent meine Meinung ändern würde. Ich habe nur Probleme Rechtschreib- und Grammatikfehler zu tolerieren und korrigiere diese daher, wenn ich sie sehe. Dennoch kann auch ich Tippfehler übersehen. In diesem Fall bitte ich um Nachsicht.

    Einmal editiert, zuletzt von Ginome () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Ginome mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Man merkt, dass du die Probleme der mittelmäßig und schwer betroffenen Autisten nicht wirklich zu kennen scheinst.

    Nicht nachvollziehbare Schlussfolgerung, die Dich zu einer falschen "Erkenntnis" über meinen Kenntnis- und Erfahrungsstand führt. Ich meinerseits schließe daraus hinwiederum, dass Du meine Äußerungen durch einen irgendwie verfälschenden Filter aufnimmst und dadurch meinen Standpunkt falsch verstehst. Umgangssprachlich formuliert scheinst Du alles, was ich sage in den falschen Hals zu bekommen. Das ist schade und ich würde das gerne ändern, aber ich sehe da momentan keine Möglichkeit, wie ich das machen soll. Ich kann nunmal nur über weitere Äußerungen kommunizieren und die kommen bei Dir immer wieder in den falschen Hals...

  • Ich wurde ab der Diagnose nur noch durch meine Defizite definiert und nicht mehr als Individuum behandelt.

    Mir ging es genau andersrum. Bei mir hat man die Diagnose anfangs nicht ernstgenommen und von mir ständig erwartet, dass ich wie "normale" Menschen funktioniere. Man hat mich also ständig überfordert. Das wurde erst besser, als ich Unterstützung und Hilfe durch das ABW bekommen habe.


    Nur auf seine Defizite reduziert zu werden, kann einen mit der Zeit auch depressiv u.a. machen.

    Wenn die Defizite aber ständig ignoriert werden, macht es irgendwann genauso depressiv.


    Nicht nachvollziehbare Schlussfolgerung, die Dich zu einer falschen "Erkenntnis" über meinen Kenntnis- und Erfahrungsstand führt.

    Tut mir leid, aber das, was du da schreibst, lässt für mich kaum eine andere Schlussfolgerung zu. Wenn du die Probleme der mittelmäßig und schwer betroffenen Autisten kennen würdest, würdest du nicht denken, dass Autismus irgendeine Weiterentwicklung sein könnte. Außer, du schliesst die mittelmäßig und schwer betroffenen Autisten in deiner Überlegung einfach aus, was aber nicht korrekt wäre, da sie genauso zum Autismus gehören wie die leicht betroffenen Autisten.

    Home ist where the sea is

    Einmal editiert, zuletzt von Elbenfrau () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Elbenfrau mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Das hatte bei mir anfangs erst Mal u.a. zu einer Identitätskriese geführt.

    Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema, an dem ich auch momentan ziemlich zu knabbern habe.

    Als bei mir feststand, dass ich Asperger-Autist bin, war ich erstmal einerseits erleichtert, gleichzeitig stellt es erstmal die ganze Identität auf den Kopf. Alles wird neu bewertet und überdacht.

    Und ich muss immer wieder aufpassen, dass ich mich selbst nicht immer durch diese Brille bewerte. Das lähmt, wenn man es im Übermaß macht.

    Ich empfinde es als schwierigen Spagat, einerseits von mir selbst nicht NT-Standard zu erwarten (da überfordere ich mich), gleichzeitig aber auch mich nicht "nur" als Autist wahrzunehmen (das macht depressiv).

  • Aber nach meiner Einschätzung der Gesamtschau dessen, wie Evolution und Statistik funktionieren, ist es plausibel, dass zukünftige Generationen zunehmend autistischer sein werden.

    Ich sage es einmal so: Deine Einschätzung von beidem hat relativ wenig mit der Realität zu tun. Um deutlicher zu werden: es gibt keinerlei Argumente, die für Deine Idee sprechen, insbesondere entbehrt sie jeder rechnerischen Basis (was Du vermutlich mit "Statistik" meinst). Das Ganze ist m.E. "an den Haaren herbeigezogen"

  • Ich teile diese Einschätzung auch nicht. HCS hat ja hier bereits die Triebkraft der Evolution auf den Punkt gebracht:

    Die einzige "Fähigkeit" die einen evolutiven Vorteil darstellt, ist die, mehr überlenden Nachwuchs in die Welt zu setzen als andere Individuen.

    Damit künftige Generationen zunehmend autistischer werden, müssten also die Träger autistischer Merkmale prozentual mehr Kinder in die Welt setzen, oder alternativ müssten deren Kinder höhere Überlebenschancen haben als die von Nichtautisten. Der überlebende Nachwuchs müsste sich auch wieder erfolgreich fortpflanzen und so weiter und so fort.


    Korrigiert mich, wenn ich etwas überlesen habe, aber ich sehe bisher keinerlei Argumente für eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit von Kindern von Autisten, die würde ich als mehr oder weniger gleich einschätzen.


    Bei der Reproduktionsrate wiederum wirkt Autismus alles andere als förderlich, wie mehrfach ausgeführt. Und selbst wenn haufenweise Nichtautist:innen auf die Idee kämen, es wäre total super, mit sozial unbeholfenen Nerds haufenweise Kinder in die Welt zu setzen (unwahrscheinlich), greift die Bremse spätestens beim Nachwuchs mit stärker ausgeprägter Autismussymptomatik. Bei der Weitergabe der Autismusgene steigt nach meinem Kenntnisstand nicht nur die Wahrscheinlichkeit für Nachkommen mit hochfunktionalem Autismus, sondern auch mit "klassischem" Kannerautismus, und deren Reproduktionschancen gehen quasi gegen Null.


    Auch wenn ich den Gedanken / das Gefühl nicht völlig abwegig finde, wegen des Autismus einer anderen Spezies anzugehören (wrong species statt wrong planet), halte ich es unterm Strich für extrem unwahrscheinlich, dass sich autistische Merkmale unter den heutigen Bedingungen wesentlich stärker verbreiten werden, als sie es momentan sind, wegen der beschriebenen damit verbundenen Nachteile.

  • Korrigiert mich, wenn ich etwas überlesen habe, aber ich sehe bisher keinerlei Argumente für eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit von Kindern von Autisten, die würde ich als mehr oder weniger gleich einschätzen.

    Im Gegenteil sogar. Im Durchschnitt leben hochfunktionale Autisten 16 Jahre weniger als Nichtautisten. Und das liegt unter anderem an dem extrem höherem Risiko des Suizids. (Und natürlich auch an der meistens recht ungesunden Lebensweise und dem Dauerstress.)

    Aber auch nur bei Kindern ist die Sterblichkeit erhöht. Sehr viele begehen schon extrem früh Suizidversuche.

    Hohe Zahlen bei der Editierungsanzeige zeigen nicht, dass ich permanent meine Meinung ändern würde. Ich habe nur Probleme Rechtschreib- und Grammatikfehler zu tolerieren und korrigiere diese daher, wenn ich sie sehe. Dennoch kann auch ich Tippfehler übersehen. In diesem Fall bitte ich um Nachsicht.

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