Das waren meine zugegebenmaßen etwas abgeklärt-deprimierten 2 cents.
Ich finde gar nicht, dass Du deprimiert klingst. Eher wie jemand, der die Realität akzeptiert und das Beste daraus zu machen versucht. Das definiere ich sogar als gesunden Optimismus.
Ein Großteil Deiner Aussagen entspricht genau meiner Meinung. In einem Punkt sehe ich die Dinge aber etwas optimistischer. Und zwar in der Schwierigkeit, die mit steigenden Kommunikations-Anforderungen in "Nerd"-Berufen einhergeht. Ich arbeite in einem Job, in dem der Anteil an Menschen mit durchaus großen - sagen wir - "Sozialkontakt-Schwierigkeiten" sehr hoch ist. Inwieweit das "nur" Nerds und Geeks sind und inwieweit einige davon die Schwelle zum Autismus-Spektrum überschritten haben, sei mal dahingestellt. Einige sind definitiv nicht in der Lage, ihr Privatleben ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Unabhängig von der Autismus-Diagnose fällt es diesem Personenkreis schwer, zu kommunizieren. Aber trotzdem funktioniert der Berufsalltag sehr gut. Das hat (mindestens) 3 Gründe:
1. Es gibt Leute wie mich, die das Team leiten und trotz (oder m.E. sogar wegen) meines Autismus sich zu einer Art "Menschenflüsterer" entwickelt haben. Zwar nur auf professionellem Terrain, wenn es um meinen Job oder ähnliches geht, aber das reicht ja in diesem Fall. (Ich ahne schon den Widerspruchssturm, den ich für diese Aussage ernten werde...) Ich sehe, wo Kommunikation schwierig werden kann und weshalb und lenke gezielt dagegen. So sitzen dann möglichst alle Beteiligten immer auf dem richtigen Gleis und die Zahnräder des Großen Ganzen greifen problemlos ineinander (auch kommunikativ).
2. Jemand, dem Kommunikation ein Graus ist, der es aber berufsbedingt täglich machen muss, entwickelt sich im richtigen Setting beachtlich weiter. Man darf ihn halt nicht überfordern und es darf ihm den Berufsalltag nicht zu sehr vergällen. Meine Mitarbeiter studieren u.a. auch meine Umgangstechniken und imitieren sie vorsichtig. Mit der Zeit trauen sie sich mehr und mehr und werden nicht selten wegen ihrer klaren und faktenorientierten Art zu geschätzten Kontaktpersonen.
3. kann man auch der "Außenwelt" da durchaus eine gewisse Weiterentwicklung zutrauen. Ein Kunde oder Kollege, der auf die Arbeit einer "nerdigen" Abteilung angewiesen ist, lernt schnell (und oft sogar gerne und selbstverständlich), wie die Kommunikation da besser läuft. (Und ich arbeite definitiv nicht in einer geschützten Branche. Im Gegenteil. Haifischbecken trifft es eher.) Professionell freundlicher Ton, klare Fakten, kein Schnickschnack abseits des Weges, keine falsche "Bussi-Bussi"-Freundlichkeit, gegenseitige Wertschätzung. Ich habe das Gefühl, dass dieser Kommunikations-Stil für viele Nicht-Nerds/Autisten eine wahre Wohltat in ihrem Berufsalltag ist.
Also ich sehe da gar nicht schwarz für die Zukunft. Je leichter der Autismus ausgeprägt ist, desto früher wird man m.M.n. in Zukunft einen guten und wertgeschätzten Platz im Berufsalltag finden können. Und in dem Maße, in dem sich "leichte Fälle" dort etablieren, werden sukzessive auch immer "schwerere Fälle" und die (Erwerbs-)Gesellschaft zueinander finden. Und sobald man im Berufsleben steht, hat man automatisch Sozialkontakte, wenn auch u.U. nur auf den Job beschränkt. Dadurch wird das Miteinander zwischen verschieden veranlagten Menschen selbstverständlicher, was wieder viele positive Faktoren auf verschiedensten Ebenen mit sich bringt.
Und Evolution ist Trial and Error und Statistik. Da gibt es Extreme, die sich so auf Dauer nicht durchsetzen. Aber ich denke, dass es durchaus denkbar ist, dass die Gehirne der Menschheit im Schnitt in Zukunft autistischer werden. Mit allen Konsequenzen, die es hat, wenn sich bei einer statistischen Verteilung der Erwartungswert verschiebt.
Ich verstehe auch, dass sich Menschen, die sich diesem Extrem zugehörig fühlen (ich sage bewusst "fühlen", da andere sie eventuell gar nicht in diesem Extrem sehen würde, aber ihre eigene Wahrnehmung da ernstzunehmen ist), vom Schicksal benachteiligt fühlen. (Ich habe bewusst eine sanfte Formulierung gewählt.)
Es hilft auch niemandem, zu sagen, "Ich bin halt der Leidtragende beim Versuch der Evolution, das menschliche Gehirn den sich verändernden Anforderungen anzupassen. Bei mir hat sie es halt leider noch übertrieben."
Aber ich denke, der ein oder andere findet den Gedanken vielleicht tröstlich, dass er evtl. nicht irgendeine Laune der Natur ist, die sinnlos in eine Sackgasse steuert, sondern "einfach nur" ein Extrem der Evolution auf dem Weg zu einem verbesserten Gehirn.
(Auf den gesamten Verlauf des Themas bezogen: Nein, es liegt mir fern, Menschen, denen ich versuche, mit Gedankenmodellen einen gewissen Trost zu ermöglichen, zu verhöhnen. Und als Hinweis: Ich empfinde es als verletzend, jemandem, den man nicht kennt, initial erstmal derartig schlechte Charakterzüge zu unterstellen.)