Beiträge von Vitaminzwerg

    Das hatte bei mir anfangs erst Mal u.a. zu einer Identitätskriese geführt.

    Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema, an dem ich auch momentan ziemlich zu knabbern habe.

    Als bei mir feststand, dass ich Asperger-Autist bin, war ich erstmal einerseits erleichtert, gleichzeitig stellt es erstmal die ganze Identität auf den Kopf. Alles wird neu bewertet und überdacht.

    Und ich muss immer wieder aufpassen, dass ich mich selbst nicht immer durch diese Brille bewerte. Das lähmt, wenn man es im Übermaß macht.

    Ich empfinde es als schwierigen Spagat, einerseits von mir selbst nicht NT-Standard zu erwarten (da überfordere ich mich), gleichzeitig aber auch mich nicht "nur" als Autist wahrzunehmen (das macht depressiv).

    Man merkt, dass du die Probleme der mittelmäßig und schwer betroffenen Autisten nicht wirklich zu kennen scheinst.

    Nicht nachvollziehbare Schlussfolgerung, die Dich zu einer falschen "Erkenntnis" über meinen Kenntnis- und Erfahrungsstand führt. Ich meinerseits schließe daraus hinwiederum, dass Du meine Äußerungen durch einen irgendwie verfälschenden Filter aufnimmst und dadurch meinen Standpunkt falsch verstehst. Umgangssprachlich formuliert scheinst Du alles, was ich sage in den falschen Hals zu bekommen. Das ist schade und ich würde das gerne ändern, aber ich sehe da momentan keine Möglichkeit, wie ich das machen soll. Ich kann nunmal nur über weitere Äußerungen kommunizieren und die kommen bei Dir immer wieder in den falschen Hals...

    Dieses Thema "Autismus als nächste Stufe der Evolution" taucht ja immer wieder auf, ist aber schon wegen der geringeren Reproduktionsrate von Autisten m.E. leicht als Wunschdenken bzw. Schönreden der eigenen Einschränkungen erkennbar.

    Da Du mich nicht kennst, kannst Du das (noch) nicht wissen, aber ich bin definitiv niemand, der sich etwas schönredet oder etwas vormacht. Eher im Gegenteil.

    Deine Einwände sind m.E. in gewisser Weise für sich genommen plausibel. Aber nach meiner Einschätzung der Gesamtschau dessen, wie Evolution und Statistik funktionieren, ist es plausibel, dass zukünftige Generationen zunehmend autistischer sein werden.

    Du scheinst mir bei der ganzen Sache einen Denkfehler zu haben. Du scheinst bei deiner Idee nämlich nur von den leicht betroffenen Autisten auszugehen.

    Die ganz schwer betroffenen, bei denen die Grenze zur (schweren) geistigen Behinderung überschritten ist, nehme ich in meinen Theorien oben explizit aus. Bzw. sehe ich sie als Extrem im Trial and Error der Evolution. Ich weiß nicht, ob beim Verschieben der statistischen Autismus-Verteilung diese Fälle dann auch mehr werden. Wäre statistisch einerseits logisch, andererseits "lernt" die Evolution ja auch dazu und optimiert. Ist ein interessanter Gedanke, auf dem ich nochmal herumdenken werde, da ich ihn noch in meine Theorie einfügen muss. (Danke dafür. Das war echt wertvoll. :*)

    In absehbarer Zukunft werden erstmal eher leichte Fälle in den Arbeitsmarkt integriert werden. Aber man wird dadurch evtl. immer mehr Möglichkeiten für immer schwerere Fälle entdecken. Aber wie gesagt, irgendwo sehe ich eine Grenze in Hinblick auf die geistige Beeinträchtigung, ab der es nur noch darum geht, den Betroffenen gerecht zu werden. (Auch hier muss die Welt noch besser werden. Da ist noch viel mehr Luft nach oben als nach unten.)

    Und ich behaupte nicht, dass Autisten generell leistungsfähiger sind als NTs. Auch nicht, dass sie die besseren Menschen sind. Ich bin aber überzeugt, dass jedes autistische Gehirn (eines nicht geistig beeinträchtigten Menschen) nicht nur Flaws, sondern auch irgendwo Features hat. Gegeneinander abgewogen überwiegen vermutlich so gut wie immer die Flaws. Aber das heißt ja nicht, dass zukünftige Generationen es nicht zunehmend schaffen, trotzdem die Features zu erkennen und zu nutzen. (Und ich spreche dabei nicht von Spezialinteressen oder gar Inselbegabungen. Die sind nicht jedem gegeben.)

    Der Umgang mit Autisten muss (und wird vermutlich) einfach selbstverständlicher werden. Wir sind viele und werden eventuell in Zukunft tendenziell mehr werden. (Vielleicht nicht für immer, je nachdem wie sich die Umweltanforderingen ändern. Aber "vorerst" erwarte ich das schon.) Eine Gesellschaft kann und sollte dieses Potential nicht einfach brachliegen lassen. Und je selbstverständlicher Autisten in der Lebensrealität der Gesellschaft präsent sind, desto besser finden sich Ideen und Möglichkeiten.

    Selbst jemand, der im Alltag ziemlich überfordert ist, kann im Job durchaus ein wertvoller Mitarbeiter sein. Ich denke an konkrete Beispiele aus meinem beruflichen Alltag. Da ist ein perfekt eingerichteter Arbeitsplatz, ein Hausmeister, eine Personalabteilung, Kollegen, die zu festen Zeiten in die Kaffeeküche und die Kantine gehen, wo man mitgehen kann, etc. Wenn das Licht, die Geräusche oder ganz andere Dinge stören oder überfordern, hat man jemandem, den man um Rat/Hilfe fragen kann. Auch wenn es etwas ist, was im Privatleben daherkam, wie Behördenpost oder Probleme mit einem Nachbarn. Irgendein vernünftiger Kollege findet sich immer, der da ganz vorurteilsfrei und diskret hilft.

    Das ersetzt in schwereren Fällen zwar nicht komplett einen Betreuer, aber in leichteren Fällen evtl. schon. Und auch in schwereren Fällen ist zumindest für einige Dinge keine Betreuung mehr notwendig. (Wer 5× die Woche in der Kantine isst, muss 5× nicht kochen.)

    Ich sehe das heutige autistische Gehirn auch nicht unbedingt als die finale Version der Weiterentwicklung. Aber als Schritt in diese Richtung. (Also nicht als sinnlose Sackgasse, sondern als Trial and Error "Spielwiese" im Zuge der Anpassung an sich ändernde Anforderungen.)

    Geht das vielleicht so in etwa in die Richtung, wie du es meinst?

    Das passt ziemlich gut zu meiner Perspektive, ja. :)

    Wobei ich die Grenzen ziemlich fließend sehe.

    Einige meiner Nerd-Kollegen, die ziemlich sicher keine Autisten sind, sind mir z.B. viel ähnlicher als sie so manchem Poser-Pavian-Kollegen sind. Aber beide gelten als NT, im Gegensatz zu mir.

    Andererseits kenne ich Menschen, bei denen der Autismus so heftig ist, dass sie geistig schwerst behindert sind. Da hat die Neuridiversität dann schon ganz klar die Grenze zur Behinderung überschritten.

    Auch bei meiner leichten Form fühle ich mich manchmal durch meinen Autismus behindert und von jetzt auf gleich wie ein hilfloses Kind. Wobei ich tatsächlich nicht sagen würde, dass ich aufgrund meines Autismus behindert bin, sondern durch ihn in gewisser Weise behindert werde. Wo da die Grenze ist... da gibt es sicher viele Ansichten und Ansätze. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht, wie ich da die Grenze definieren würde. :S

    Mir geht es hauptsächlich darum, dadurch herauszufinden ob ihr Verhalten evtl. mit mir zu tun haben könnte.


    In Selbstreflexion bin ich auch nicht gut und ich merke oft nicht, wie ich auf andere Menschen wirke.

    Das kenne ich. Und dann rattert der Kopf bis in alle Ewigkeit.

    Was ich denke, bzw. festgestellt habe:

    1. Wenn ich mit so jemandem (Verkäufer etc.) schon vorher mal mehr als nur das "Geschäftliche" geredet habe oder irgendwie sonst davon ausgehe, wir haben ein wenig eine kleine Bekanntschaft aufgebaut, traue ich mich manchmal zu fragen: "Ist bei Ihnen alles ok? Sie wirken so niedergeschlagen." Man muss nur vorsichtig sein, da man zum einen damit ihre Professionalität beleidigen kann, zum anderen mit einer evtl. ausführlichen Antwort klarkommen können muss. Sollte sie dann tatsächlich inhaltlich antworten, weißt Du schnell, ob sie Dich doof findet. (Vermutlich tut sie es dann nicht.)

    2. Ich schaue, was für mich das kleinere Übel ist. Werde ich mich vermutlich wieder wochenlang quälen und gehemmt sein, ihr wieder zu begegnen, wenn das ungeklärt bleibt? Dann verschaffe ich mir Erleichterung, indem ich es kläre. Und zwar so, dass sie versteht, was ich will. "Entschuldigung, wenn das jetzt eine total blöde Frage ist, aber es fällt mir nicht so leicht, Situationen abzuschätzen. Ich merke, dass sie zurückhaltender sind als sonst. Und ich frage mich, ob ich etwas falsch gemacht habe." Das mache ich natürlich nur, wenn sonst niemand anwesend ist. Aber dann kriegt man im Normalfall eine nette Antwort, die einem Seelenfrieden bereitet und eine weitere Erkenntnis im Studium der Menschen.

    3. Ich habe bei Erlebnissen, wo ich mich das Obenstehende getraut habe, festgestellt, dass es fast nie mit einem selbst zu tun hat. (Tatsächlich und glaubhaft.) Viele Menschen tragen ihre aktuelle Laune im Gesicht, ohne es zu merken. Da sind private Sorgen oder Ärger mit Kollegen, etc. Und wenn man das mal realistisch betrachtet, sind solche Dinge viel wahrscheinlicher, als dass eine Kundin, die sogar darauf Wert legt, niemandem auf die Füße zu treten, sie jetzt so ärgert. Diese Frau hat ein ganzes Leben. Darin machst Du nur einen verschwindend geringen Anteil aus und bist total unwichtig. (Klingt jetzt negativ, ist in diesem Kontext aber für Deinen Seelenfrieden positiv.) Wenn man da unsicher ist, denkt man halt schnell, dass es an einem selbst liegt. Das ist aber meiner Erfahrung nach fast nie so. (Und meistens finden einen die Leute nettt, nachdem man es geklärt hat. Das ist nämlich sehr mutig und man hat sich das getraut, weil einem das Befinden des anderen wichtig ist.)

    Das waren meine zugegebenmaßen etwas abgeklärt-deprimierten 2 cents.

    Ich finde gar nicht, dass Du deprimiert klingst. Eher wie jemand, der die Realität akzeptiert und das Beste daraus zu machen versucht. Das definiere ich sogar als gesunden Optimismus.

    Ein Großteil Deiner Aussagen entspricht genau meiner Meinung. In einem Punkt sehe ich die Dinge aber etwas optimistischer. Und zwar in der Schwierigkeit, die mit steigenden Kommunikations-Anforderungen in "Nerd"-Berufen einhergeht. Ich arbeite in einem Job, in dem der Anteil an Menschen mit durchaus großen - sagen wir - "Sozialkontakt-Schwierigkeiten" sehr hoch ist. Inwieweit das "nur" Nerds und Geeks sind und inwieweit einige davon die Schwelle zum Autismus-Spektrum überschritten haben, sei mal dahingestellt. Einige sind definitiv nicht in der Lage, ihr Privatleben ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Unabhängig von der Autismus-Diagnose fällt es diesem Personenkreis schwer, zu kommunizieren. Aber trotzdem funktioniert der Berufsalltag sehr gut. Das hat (mindestens) 3 Gründe:

    1. Es gibt Leute wie mich, die das Team leiten und trotz (oder m.E. sogar wegen) meines Autismus sich zu einer Art "Menschenflüsterer" entwickelt haben. Zwar nur auf professionellem Terrain, wenn es um meinen Job oder ähnliches geht, aber das reicht ja in diesem Fall. (Ich ahne schon den Widerspruchssturm, den ich für diese Aussage ernten werde...) Ich sehe, wo Kommunikation schwierig werden kann und weshalb und lenke gezielt dagegen. So sitzen dann möglichst alle Beteiligten immer auf dem richtigen Gleis und die Zahnräder des Großen Ganzen greifen problemlos ineinander (auch kommunikativ).

    2. Jemand, dem Kommunikation ein Graus ist, der es aber berufsbedingt täglich machen muss, entwickelt sich im richtigen Setting beachtlich weiter. Man darf ihn halt nicht überfordern und es darf ihm den Berufsalltag nicht zu sehr vergällen. Meine Mitarbeiter studieren u.a. auch meine Umgangstechniken und imitieren sie vorsichtig. Mit der Zeit trauen sie sich mehr und mehr und werden nicht selten wegen ihrer klaren und faktenorientierten Art zu geschätzten Kontaktpersonen.

    3. kann man auch der "Außenwelt" da durchaus eine gewisse Weiterentwicklung zutrauen. Ein Kunde oder Kollege, der auf die Arbeit einer "nerdigen" Abteilung angewiesen ist, lernt schnell (und oft sogar gerne und selbstverständlich), wie die Kommunikation da besser läuft. (Und ich arbeite definitiv nicht in einer geschützten Branche. Im Gegenteil. Haifischbecken trifft es eher.) Professionell freundlicher Ton, klare Fakten, kein Schnickschnack abseits des Weges, keine falsche "Bussi-Bussi"-Freundlichkeit, gegenseitige Wertschätzung. Ich habe das Gefühl, dass dieser Kommunikations-Stil für viele Nicht-Nerds/Autisten eine wahre Wohltat in ihrem Berufsalltag ist.


    Also ich sehe da gar nicht schwarz für die Zukunft. Je leichter der Autismus ausgeprägt ist, desto früher wird man m.M.n. in Zukunft einen guten und wertgeschätzten Platz im Berufsalltag finden können. Und in dem Maße, in dem sich "leichte Fälle" dort etablieren, werden sukzessive auch immer "schwerere Fälle" und die (Erwerbs-)Gesellschaft zueinander finden. Und sobald man im Berufsleben steht, hat man automatisch Sozialkontakte, wenn auch u.U. nur auf den Job beschränkt. Dadurch wird das Miteinander zwischen verschieden veranlagten Menschen selbstverständlicher, was wieder viele positive Faktoren auf verschiedensten Ebenen mit sich bringt.


    Und Evolution ist Trial and Error und Statistik. Da gibt es Extreme, die sich so auf Dauer nicht durchsetzen. Aber ich denke, dass es durchaus denkbar ist, dass die Gehirne der Menschheit im Schnitt in Zukunft autistischer werden. Mit allen Konsequenzen, die es hat, wenn sich bei einer statistischen Verteilung der Erwartungswert verschiebt.

    Ich verstehe auch, dass sich Menschen, die sich diesem Extrem zugehörig fühlen (ich sage bewusst "fühlen", da andere sie eventuell gar nicht in diesem Extrem sehen würde, aber ihre eigene Wahrnehmung da ernstzunehmen ist), vom Schicksal benachteiligt fühlen. (Ich habe bewusst eine sanfte Formulierung gewählt.)

    Es hilft auch niemandem, zu sagen, "Ich bin halt der Leidtragende beim Versuch der Evolution, das menschliche Gehirn den sich verändernden Anforderungen anzupassen. Bei mir hat sie es halt leider noch übertrieben."

    Aber ich denke, der ein oder andere findet den Gedanken vielleicht tröstlich, dass er evtl. nicht irgendeine Laune der Natur ist, die sinnlos in eine Sackgasse steuert, sondern "einfach nur" ein Extrem der Evolution auf dem Weg zu einem verbesserten Gehirn.


    (Auf den gesamten Verlauf des Themas bezogen: Nein, es liegt mir fern, Menschen, denen ich versuche, mit Gedankenmodellen einen gewissen Trost zu ermöglichen, zu verhöhnen. Und als Hinweis: Ich empfinde es als verletzend, jemandem, den man nicht kennt, initial erstmal derartig schlechte Charakterzüge zu unterstellen.)

    Hallo Pixel,

    Du hast Deinen Beitrag erst geschickt, während ich meine letzte Antwort schon getippt habe, daher habe ich mich nicht auf ihn bezogen. Deine Antwort fand ich tatsächlich freundlich und sachlich und teilweise ziemlich differenziert auf meine Überlegungen bezogen.

    Generell empfinde ich Deine Art zu formulieren als sehr angenehm. Du wirkst dadurch sehr freundlich und umsichtig. (Nur mal als Rückmeldung, weil das Autisten ja oft nicht 100% sicher bei sich selbst einschätzen können.)

    Bzgl. Deiner Frage: Ich habe tatsächlich nach echtem Feedback gefragt. (Und bei uns in der Forschung ist Widerspruch wertvoller als Zustimmung. Nur so können wir unsere Neuerungen überprüfen.) Aber tatsächlich nach Feedback auf meine Theorie, nicht nach Feedback auf Dinge, die jemand in meine Aussagen reindichtet.

    Wenn ich z.B. sage, dass Autisten, die keine schwere geistige Beeinträchtigung haben, in gewisser Weise viel leistungsfähiger sind als andere Menschen, dann habe ich nicht in Abrede gestellt, dass sie gleichzeitig in vielen Bereichen eventuell deutlich weniger leistungsfähig sind. Dann habe ich auch nicht behauptet, dass jedem diese Fähigkeit überhaupt bewusst ist. Weder den Betroffenen noch der Gesellschaft. Dann habe ich lediglich gesagt, dass in den meisten Fällen eine autistische "Hirnstruktur" irgendwo auch Fähigkeiten mit sich bringt, die denjenigen der Durchschnittsbevölkerung in genau dieser Sache überlegen macht. (Und es ist in mehrerlei Hinsicht ratsam, diese Fähigkeit zu suchen und zu nutzen. Zum einen für die Gesellschaft, die davon profitieren wird, zum anderen für die Betroffenen, die dadurch einen ganz anderes Ansehen und Standing gewinnen und dadurch automatisch einen höheren Selbstwert. Aber momentan ist die Welt noch nicht so weit. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir vor Jahrzehnten ausgewachsen sind. Da war die Gesellschaft nochmal rückständiger in Bezug auf Autismus als jetzt.)

    Wenn ich dann aber Reaktionen bekomme, bis hin zu dass sich Autisten von dieser Aussage verhöhnt fühlen, weil sie im Alltag Hilfe benötigen und dann ein ganzer Chor einstimmt, weil offenbar keiner differenziert gelesen hat, auch meine weiteren Erklärungen nicht, und mir tatsächlich jede einzelne Aussage im Mund rumgedreht wird, dann machen auch weitere Erklärungen keinen großen Sinn, weil die ja dann auch vermutlich nicht in ihrer Differenziertheit erfasst werden. (Die Erklärung hier ist davon ausgenommen, da Du tatsächlich differenziert und freundlich reagiert hast. :) )

    Generell beende ich Diskussionen mit Menschen, die unbescheiden argumentieren. Damit meine ich, wenn jemand z.B. so tut, als spräche er für das Universum (z.B. Formulierungen wie "das ist so" anstelle von "das sehe ich so"), oder wenn man in seinen Formulierungen eine negative oder ablehnende Einstellung dem anderen gegenüber mitschwingen lässt. (Und ja, ich meine, auch Autisten können lernen, zumindest in schriftlichen Kommunikationen so zu formulieren, dass sie nicht verletzen, ohne es zu wollen.)

    Da die Reaktionen allesamt an meinen Aussagen vorbei argumentieren, oder sogar das bekräftigen, was ich sage, aber im Ton des Widerspruchs, sehe ich ein, dass es keinen Sinn macht, meine Hypothese weiter zu erläutern. Ich werde nicht weiter argumentieren oder widersprechen.

    Bei derartigen Themen ist es echt wichtig, die vollständige Differenziertheit von Aussagen zu berücksichtigen. Sonst legt man jemandem etwas in den Mund, was er weder gesagt noch gemeint hat und erzählt ihm dann, wie doof man das findet (oder wie hier sogar, wie doof das ist), was er da (in Wahrheit gar nicht) von sich gibt. Da kann es durchaus passieren, dass derjenige sich dann ziemlich locked-in und zu Unrecht plattgemacht fühlt.

    Aber auch wenn das für mich jetzt keine schöne Erfahrung ist, habe ich andererseits wieder viel über die Welt und ihre Menschen gelernt.

    Außerdem scheine ich hier vielen Menschen die Erfahrung geschenkt zu haben, sich einig zu sein. (Auch wenn es Einigkeit gegen etwas ist, das so gar nicht existiert.) Also versuche ich mich damit zu trösten, wenigstens indirekt eine gute Tat begangen zu haben.

    Danke, dass Du Deine persönliche Meinung zu meinen Überlegungen geteilt hast, Ginome. :)

    Auch mit einer rein-autistischen Gesellschaft sprichst Du von etwas, das ich nicht sage. Dass Autisten mehr der Standard werden, heißt ja nicht, dass es keine Nicht-Autisten mehr gibt. (Obwohl sich die Lebewesen evolutionär mal vom Wasser ans Land begeben haben, sind die wasser-lebenden Lebewesen ja nicht verschwunden.)


    Und ich sehe in meinem Alltag häufig, dass Emotionen und nonverbale Kommunikation vielen Menschen in vielen Bereichen sehr im Weg stehen und ihnen das Leben mit ihren Mitmenschen unnötig schwer machen. Da in der Lage sein, zu trennen und sich rein auf die Fakten-Ebene zu fokussieren, ist ein klarer Vorteil. Das heißt ja nicht, dass man gar nicht mehr nonverbal kommuniziert oder keine Emotionen mehr relevant sind. Im Gegenteil.


    Auch die Pferde haben vermutlich nicht geahnt, dass sie irgendwann mal so groß wie heute sein werden, als sie in Katzen-Größe durchs Unterholz gelaufen sind. Mit der Zeit haben sich aber die äußeren Bedingungen derart geändert, dass sich auch die Pferde verändert haben. (Mir ist bewusst, dass Pferde über sowas vermutlich nicht nachdenken. Ja. Aber ich hoffe, das Bild macht klar, was ich meine.)


    Aber es ist für mich vollkommen ok, wenn Du Dir das, was mir da durch den Kopf geht, nicht vorstellen kannst. Mir fällt aber auf, dass ich überlege, was sein könnte (und das auch so formuliere) und Du sagst "XYZ ist so". Und da widerspreche ich dann doch, weil auch Du lediglich Deine persönliche Meinung kommuniziert. (Die ich durchaus respektiere, auch wenn sie meiner eigenen widerspricht.)

    Danke, Ginome, dass Du Dir Gedanken zu meinen Überlegungen gemacht hast.

    Ich denke, Deine Einwände widersprechen meinen Aussagen gar nicht wirklich.

    Dass Autisten (diejenigen ohne schwere geistige Beeinträchtigung) in gewissen Bereichen leistungsfähiger sind als die meisten NTs bedeutet ja nicht, dass sie nicht u.U. bei Dingen, die für NTs unproblematisch sind, trotzdem Unterstützung brauchen. Und genau diese gibt es ja in einer Autisten-freundlichen Welt ganz selbstverständlich und flächendeckend.

    Die Foren, von denen Du sprichst, befinden sich ja auch nicht in der auf Autisten ausgerichteten idealisierten Welt der Zukunft, von der ich spreche.

    Und in Deinem letzten Punkt widersprichst Du mir, dass Autisten Emotionen nicht besser bewerten können als NTs. Aber das sage ich ja nicht. Ich sage, dass Autisten m.E. im Allgemeinen in ihrer Kommunikation besser in der Lage sind, Emotionen von Fakten zu trennen.

    Ich bin mir auch nicht sicher, ob Autisten wirklich zu 80% nonverbal kommunizieren. In der Welt, die ich skizziere, wird dem Rechnung getragen. In vielen Berufen kann man z.B. einen Großteil der Zeit ohne Optik kommunizieren. Also schriftlich oder wenn nötig über reine Audio-Telefonate. Und wenn es in einer Gesellschaft dann irgendwann mal zu den Tugenden gehört, nicht zwischen den Zeilen zu kommunizieren, keine "Spielchen zu spielen" und Fakten von Emotionen zu trennen, kommen Autisten auch in Face-to-Face-Berufen besser zurecht.

    Ich spreche tatsächlich von einer Welt der Zukunft, in der sich die Stärken von Autisten in gewisser Weise zunehmend "durchsetzen", weil diese Fähigkeiten zunehmend für die Gesellschaft relevanter werden und die Gesellschaft den Bedürfnissen von Autisten dementsprechend zunehmend Rechnung trägt (oder tragen muss).

    Hier mal ein Ansatz, auf dem ich seit einiger Zeit rumdenke: Mir ist irgendwann aufgefallen, dass die Fähigkeit, Emotionen und Fakten getrennt voneinander zu bewerten / bearbeiten / betrachten eine ganz wichtige Kompetenz ist. Und ich halte das für eine Kernkompetenz vieler Autisten.

    In meinem beruflichen Umfeld ist das Vermischen von Befindlichkeiten mit Fakten ein Handicap, das viele meiner NT-Kollegen sehr unprofessionell und schwierig im Umgang mit Kunden und Kollegen macht. Sie KÖNNEN das gar nicht trennen und das macht ihnen das Leben oft sehr schwer.

    Seit mir das bewusst geworden ist, bin ich der Meinung, dass unser Gehirn evtl. eine evolutionäre Weiterentwicklung ist. (Ja, im Fall von schwerem frühkindlichen Autismus z.B. hat es die Evolution da etwas "übertrieben". Aber Extreme gibt es ja bei jedem Evolutionsschritt.)

    Sind wir, die wir hier sitzen und uns über dieses Forum austauschen, nicht in gewisser Weise viel leistungsfähiger als der Rest der Menschheit? Im Alltag mag sich das für die meisten von uns ganz und gar nicht so anfühlen. Aber das liegt doch daran, dass die Welt noch nicht bereit für uns ist. Es ist doch alles noch auf den Mehrheits-Menschen ausgerichtet und der ist nunmal Nicht-Autist.

    Stellt Euch doch mal vor, die Welt wäre auf uns ausgerichtet. Wie viel effizienter, klüger und friedlicher wäre sie.

    (Mein Mann [Nicht-Autist] sagt immer: "Wenn es doch mehr von Euch gäbe... Die Welt wäre ein besserer Ort.")

    Ein Erlebnis, das meine "Homo Sapiens 2.0"-Theorie nochmal befeuert hat (sonst hätte ich mich gar nicht getraut, das hier zu schreiben): Eine Bekannte (Nicht-Autist) hat neulich, ohne von meinen Gedanken zu wissen, zum Stichwort "Autismus" gesagt: "Naja, die Menschheit entwickelt sich halt weiter." Und dann hat sie mir erklärt, dass sie der Überzeugung ist, dass Autisten eine evolutionäre Weiterentwicklung sind.

    Wenn man darüber nachdenkt, wäre das auch eine weitere (!) Erklärung (neben manch anderen naheliegenden) dafür, warum es immer mehr Autisten gibt.

    Wie findet Ihr die Idee? Wir sind nicht "gehandicapped", wir sind einfach die Vorreiter eines neuen Menschentyps, der irgendwann Standard sein wird. Wir sind einfach nur die ersten und daher (leider) unserer Zeit noch voraus.

    alle Autisten hätten eher eine "maskenhafte" Mimik

    Also ich habe jetzt festgestellt, dass das bei mir vom Energielevel abhängt. Wenn ich fit bin, imitiere ich NTs perfekt. Auf Fotos und Videos bin ich immer von mir selbst erstaunt, wie perfekt authentisch das aussieht. Wenn ich nicht wüsste, wie es mir in den Situationen wirklich ging, würde ich meiner Mimik selbst komplett auf den Leim gehen. (Wer das mal testen will: Probiert z.B. mal vor dem Spiegel, was es für einen Unterschied macht, beim Lächeln die Augen etwas schmal zu machen und den Kopf leicht schräg zu halten. 8o)

    Wenn ich aber komplett am Ende meiner Kräfte bin, schaltet sich meine Mimik irgendwann ab.

    Da das aber immer noch mehr Energie mit der Außenwelt kostet ("Was ist denn los?" "Ist irgendwas?" "Mit Dir ist doch irgendwas"...) schaltet sich meine Mimik erst ab, wenn wirklich nichts mehr geht. Und an dem Punkt muss ich mich dann komplett abkapseln, dass mein System sich irgendwie wieder sortieren und erholen kann.